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Überleben sichern, den Neustart begleiten

Fast könnte man den Eindruck haben, es hätte seit Sommer 2015 gar kein anderes Thema gegeben – die Flüchtlingskrise bestimmte in Europa über Monate die Schlagzeilen. Für uns ist die Hilfe für Flüchtlinge und Vertriebene seit dem ersten Einsatz im Jahr 1966 in Vietnam eine zentrale Aufgabe.

Ingo Radtke, Generalsekretär International, zu aktuellen Fragen unserer Arbeit mit Flüchtlingen und Vertriebenen:

"Mehr als 65 Millionen Flüchtlinge – noch nie waren weltweit so viele Menschen auf der Flucht wie heute. Wir reden hier von einer Summe, die in etwa der Gesamtbevölkerung Großbritanniens entspricht. Bei allen Diskussionen rund um die Themen Integration, Sicherheit und Versorgung vergessen wir häufig, dass hinter jedem einzelnen Flüchtling ein meist schreckliches Schicksal steht: Es sind Geschichten größter Not, die uns in den Menschen in unseren Projekten begegnen. Als humanitäres Hilfswerk des Souveränen Malteserordens ist es unser Auftrag, Menschen in äußerster Not zu helfen, insbesondere in prekären Situationen, in denen sonst nur wenig oder auch gar keine Hilfe ankommt. 

Wenn wir über Flüchtlingshilfe reden, ist zunächst klar zu definieren, wer überhaupt unter den Begriff Flüchtling fällt. In vielen Ländern kümmern wir uns um Binnenvertriebene und um Flüchtlinge – unabhängig von ihrer Herkunft oder Religionszugehörigkeit. Wir möchten diesen Menschen bestmöglich in ihrer jeweiligen Situation helfen; kurzfristig meist mit dem Ziel, zunächst ihr Überleben zu sichern. Mittel- und langfristig wollen wir die Menschen so lange begleiten, bis sie in ein eigenständiges, selbst bestimmtes Leben zurückkehren können.

Fokussierung notwendig

Wir sind uns sehr bewusst darüber, dass wir angesichts der gewaltigen Flüchtlingsströme und des enormen weltweiten Bedarfs an humanitärer Hilfe mit unserer Arbeit nur einen kleinen Beitrag leisten können. Ent- sprechend sorgfältig planen wir daher unsere Einsätze und Hilfsmaßnahmen, um mit unseren begrenzten Mitteln die bestmögliche Wirkung zu erzielen. Eine Frage, die uns häufig begegnet, ist, warum wir den Menschen auf der Flucht in Ländern wie Syrien, der Türkei und dem Libanon helfen, nicht aber jenen, die in Griechenland ankommen oder auf der Balkanroute unterwegs waren. Die Antwort darauf ist das Ergebnis intensiver Überlegungen und Gespräche.

Zunächst koordinieren wir unsere Einsätze im Rahmen des weltweiten Netzwerkes des Malteserordens. In Ländern, in denen lokale Malteser Hilfsdienste die Betreuung der Flüchtlinge übernehmen – wie dies beispielsweise in Ungarn, auf Lampedusa in Italien oder in Österreich und Deutschland der Fall ist – werden wir nicht aktiv. In Ländern, auf die dies nicht zutrifft, ist ein Einsatz eine Frage des Bedarfs, der örtlichen Gegebenheiten und unserer Möglichkeiten. Aktuell sind die Not und der Bedarf in unseren derzeitigen Projektstandorten so groß, dass wir uns darauf konzentrieren, dort, wo wir bereits arbeiten, noch mehr Menschen besser zu versorgen. Die Fokussierung auf unsere aktuellen Einsatzgebiete bietet zudem den Vorteil, dass wir auf bereits vorhandene Strukturen und Netzwerke wie Partnerschaften mit lokalen Behörden oder Organisationen zurückgreifen können. Nicht zuletzt stimmen wir unsere Hilfe auch immer eng mit den koordinierenden Clustern der Vereinten Nationen ab und arbeiten in Absprache mit anderen Hilfsorganisationen, um die Verteilung der Hilfe möglichst effizient zu gestalten und Überschneidungen zu vermeiden.

Häufig begegnet uns auch die Frage, warum wir nicht vorrangig dort tätig werden, wo andere Christen in Not geraten sind. Darauf kann ich nur antworten: Wir sind ein christliches, katholisches Hilfswerk und helfen natürlich Christen in Not. Vor allem aber helfen wir Menschen in Not. Wir fragen weder nach dem Grund einer Krise oder Katastrophe noch nach der Konfession oder Nationalität eines Menschen, sondern sehen in erster Linie den Hilfsbedürftigen. Als Christen dient uns das Gleichnis des barmherzigen Samariters als Vorbild, der auf der Straße von Jerusalem nach Jericho einem ausgeraubten und schwerverletzten Reisenden half, ohne danach zu fragen, wer er ist und woher er kommt.

Dialog und Begleitung

Wie wir an ein Projekt herangehen, folgt einem bewährten Prozess: In der Regel beginnt die Arbeit für Flüchtlinge und Vertriebene mit einer ersten Nothilfephase, in der die Versorgung der Menschen mit Wasser, Nahrungsmitteln, Haushalts- und Hygieneartikeln, Medikamenten und Notunterkünften zu den dringlichsten Maßnahmen zählt. Leider ist es in fast allen Fällen so, dass der Hilfsbedarf auch über diese Nothilfephase hinaus oft noch jahrelang besteht. Wir sehen heute, dass Konflikte in der Regel länger andauern, politische Lösungen schwieriger werden und die Menschen entsprechend länger auf externe Hilfe angewiesen sind.

Wie diese Hilfe langfristig ausgestaltet ist, erarbeiten wir individuell anhand der jeweiligen Situation in einer ausführlichen Bedarfsanalyse. Das kann im Fall der Flüchtlingshilfe im Libanon oder Irak bedeuten, dass wir mobile Kliniken einsetzen, um die Vertriebenen in weit auseinanderliegenden Gebieten erreichen zu können. Oder dass wir wie beispielsweise in Myanmar in Dörfern, in welche Flüchtlinge zurückkehren werden, gemeinsam mit den Bewohnern Trinkwasser- quellen wie Regenwasserteiche, Regenwassersammeltanks oder Brunnen reparieren oder neu bauen und die Menschen dabei unterstützen, so genannte "Water Safety Plans" zu erstellen, damit sie ganzjährig sauberes Trinkwasser haben. Unser grenzübergreifendes Projekt in Myanmar und Thailand ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie wir langfristig diesseits und jenseits der Grenzen daran arbeiten, einerseits Menschen auf die Rückkehr in ihre alte Heimat und andererseits die Aufnahmeorte auf die rückkehrenden Flüchtlinge vorzubereiten. 

Entspannung ist nicht in Sicht

Mit Blick in die Zukunft erwarten wir derzeit kaum eine Entspannung der Situation. Wir gehen zwar davon aus, dass sich die Anzahl der Flüchtlinge aus dem Nahen Osten in den kommenden Jahren eher reduzieren wird. Doch dafür wird die Anzahl der Menschen aus anderen Regionen, die in sicheren Ländern Asyl suchen, deutlich steigen. Wir sehen bereits jetzt entsprechende Bewegungen in den afrikanischen Staaten südlich der Sahara.

Auch aus einigen asiatischen Ländern, wie beispielsweise Pakistan oder Afghanistan, in denen die persönliche Sicherheit für viele Bürger nicht gewährleistet ist, werden sich weitere Menschen auf den Weg in eine hoffentlich sicherere Zukunft machen.

Es ist unsere Aufgabe als Gesellschaft, weltweit mehr gegen die Ursachen zu tun, die Menschen dazu zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Menschen fliehen vor Konflikten und ökonomischer Perspektivlosigkeit. Der Weg zu einer langfristigen Lösung der Flüchtlingskrise kann daher nur über den Frieden und die Beseitigung ökonomischer Ungerechtigkeiten führen. Daran können wir alle arbeiten. In Zeiten wie den heutigen scheint es besonders angebracht, uns immer wieder daran zu erinnern."

Text übernommen aus dem Jahresbericht 2015


"Es ist unsere Aufgabe als Gesellschaft, weltweit mehr gegen die Ursachen zu tun, die Menschen dazu zwingen, ihre Heimat zu verlassen."


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