Uniformen mussten draußen bleiben
„Immer wenn ich einen Hubschrauber höre, muss ich an Vietnam denken. Noch heute. Das geht auch nicht mehr weg“, sagt Thomas Reuther, 71 Jahre alt. Gerade einmal 26 war der Verwaltungswirt, als er sich beim Malteser Hilfsdienst bewarb, um in Vietnam zu arbeiten. Das war 1971. Damit war Reuther einer von 303 Mitarbeitern, die zwischen September 1966 und März 1975 als Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger, Teamleiter und Ausbilder in Vietnam für die Zivilbevölkerung im Einsatz waren.
Es war der erste große Auslandseinsatz der Malteser. Seit 1955 herrschte in Vietnam Krieg und dieser sollte noch bis 1975 dauern. Die kommunistischen Nordvietnamesen kämpften gegen die Südvietnamesen, die von amerikanischen Truppen unterstützt wurden.
Erster großer Auslandseinsatz der Malteser
Im Januar 1966 fragte die Bundesregierung bei den Maltesern an, ob sich der Hilfsdienst an einem großen humanitären Auslandseinsatz in Vietnam beteiligen würde, um der notleidenden Bevölkerung zu helfen. Damit der Einsatz auch rechtlich abgesichert ist, gründeten die Malteser daraufhin den „Malteser Hilfsdienst Auslandsdienst e.V.“. So wurde der Grundstein für alle weiteren weltweiten Einsätze der Malteser gelegt.
Thomas Reuther war von 1971 bis 1973 in Vietnam und arbeitete als Teamleiter in Da Nang, einer vietnamesischen Hafenstadt, die heute in der Mitte des Landes liegt. „Mit dem Hubschrauber wurden immer die Verletzten in unsere Krankenhäuser gebracht. Darum verbinde ich bis heute dieses Geräusch fliegender Hubschrauber mit Vietnam. Es wurden Menschen mit ganz unterschiedlichen Verletzungen und Überlebenschancen ins Krankenhaus gebracht. Die Ärzte mussten schnell entscheiden, wem als erstes geholfen wird und für wen jede Hilfe zu spät kam. Sie hatten in diesem Krieg eine unglaublich hohe moralische Verantwortung und ich habe bis heute sehr großen Respekt davor“, berichtet Reuther.
Organisationstalent war gefragt
Drei Krankenhäuser betrieben die Malteser in Vietnam und Thomas Reuther musste als Teamleiter den Ärzten, Schwestern und Pflegern den Rücken freihalten. „Ich war für alles Organisatorische zuständig. Als die Ärzte zum Beispiel einmal keine Blutkonserven mehr hatten, musste ich neues Blut besorgen. Kurzerhand fuhr ich zu den Amerikanern ins Camp und schilderte ihnen unsere Lage. Gleich darauf kamen 20 amerikanische Soldaten in unser Krankenhaus und spendeten Blut für die Menschen, die sie morgens noch verwundet hatten. Das ist die Absurdität des Krieges“, erzählt Reuther. In den Krankenhäusern wurden alle Patienten gleich behandelt. Die Uniformen blieben draußen, das war eine eiserne Regel. Die Mitarbeiter verhielten sich absolut neutral den Kriegsparteien gegenüber.“ Eine Neutralität, die bis heute oberstes Prinzip der Arbeit der Malteser ist.
In den neun Jahren, die die Malteser in Vietnam arbeiteten, bauten sie in der Provinz Quang Nam verschiedene Lehrwerkstätten für Schlosser, Schreiner und Kfz-Mechaniker auf. Da bereits von Anfang an geplant war, die medizinische Versorgung in die Hände der Vietnamesen zu legen, bildeten die Mitarbeiter auch Krankenhauspersonal aus und schulten diese in Hygiene und Krankheitsvorsorge. Im Laufe der Jahre kamen noch eine Schule, eine Blindenschule, Flüchtlingsunterkünfte, mobile Ambulanzstationen, eine Leprastation, ein Altersheim und ein Waisenhaus zu den Aufgaben der Malteser hinzu „Mein Job war so vielfältig. Ich hatte kein Helfersyndrom, ich wollte vor allem gestalten. Ich hatte eher ein ‚Gestaltersyndrom‘. Das konnte ich in der Zeit ausleben. Für diesen Beruf als Teamleiter damals, für den gibt es keine Ausbildung. Ich musste einfach reagieren“, erzählt Reuther.
1973 kehrte Thomas Reuther zurück nach Deutschland. Zweimal flog er für die Malteser erneut nach Vietnam. 1975 aber spitzte sich die Lage so zu, dass der damalige Generalsekretär Georg von Truszczynski die Mitarbeiter im März ausfliegen ließ. Erst 1989 kehrten die Malteser nach Vietnam zurück. Heute engagieren sich die Malteser dort vor allem in der Katastrophenvorsorge und machen sich stark für Inklusion von Menschen mit Behinderung.
Auch Thomas Reuther fliegt noch immer regelmäßig nach Vietnam und besucht das Waisenhaus in Da Nang. Und auch den Maltesern fühlt er sich noch verbunden: Bis heute ist er ehrenamtlicher Mitarbeiter beim Hilfsdienst.